Ein Meisterwerk

Der Wolkenatlas - David Mitchell, Volker Oldenburg

"Habe [...] die Fragmente dieses Jahres zu einem 'Sextett für einander überschneidende Solostimmen' umgearbeitet: Klavier, Klarinette, Cello, Flöte, Oboe, Violine, jedes Instrument mit einer ganz eigenen Sprache aus Tonart, Melodik und Klangfarbe. Im 1. Satz wird jedes Solo vom nachfolgenden unterbrochen: im 2. Satz setzen sich die unterbrochenen Soli in umgekehrter Reihenfolge fort. Revolutionär oder effekthascherisch? Werde das erst erfahren, wenn es fertig ist [...]."

 

Das Arrangement des jungen Komponisten Robert Frobisher spiegelt exakt den Aufbau von David Mitchell's Wolkenatlas wider. Revolutionär, möchte man nach der Lektüre meinen, noch nie dagewesen. Doch auch ein gewisses Maß an Effekthascherei kann man dem Ganzen nicht absprechen, denn ist es nicht ein genialer Kunstgriff, die eine Erzählung einfach in der Mitte abzubrechen und mit der nächsten fortzufahren? Auf diese Weise jedenfalls liest man sich durch die Lebensepisoden von sechs Menschen, deren Geschichten nicht unterschiedlicher hätten sein können. Getrennt durch Zeit und Raum begegnen sie einander nicht ein einziges Mal und doch sind ihre Leben auf merkwürdige Weise miteinander verbunden. Die festgehaltenen Erinnerungen jedes Einzelnen finden sich im Leben des nächsten wieder und beeinflussen dieses mal mehr und mal weniger, sind jedoch immer ein Teil davon. Doch es geht um mehr als nur das: Es sind die Verbindungen zwischen Menschen, die wandernde Seelen im Laufe von Jahrhunderten entstehen lassen, und uns durch alle Zeitalter hinweg die Natur des Menschen zeigen - sein Streben nach immer größerer Macht und dem oft vergeblichen Versuch der Unterdrückten ihrem Los zu entkommen. Hier aber wird uns gleich sechs Mal gezeigt, dass es falsch wäre, zu resignieren und sich mit inakzeptablen Situationen zufrieden zu geben. Es sind sechs Geschichten voller Widrigkeiten, aber auch voller Mut diese zu überwinden.

Letztendlich ein wunderbarer Appell daran, für seine Überzeugungen einzustehen und den Glauben an eine bessere Welt nicht zu verlieren; in seiner Form eines der besten Bücher, die ich jemals gelesen habe.

 

"Ein Leben mit der Gestaltung einer Welt zu verbringen, die ich [...] nicht voller Furcht, sondern mit Freude hinterlassen kann, das erscheint mir als ein Leben, das zu leben werth ist. [...] Ich höre schon die Worte meines Schwiegervaters. '[...] Wer gegen die Hydra der menschlichen Natur kämpft, muß dafür mit unendlichem Leid bezahlen, u. seine Familie bezahlt mit ihm! Erst wenn du deinen letzten Atemzug gethan hast, wirst du begreifen, daß dein Leben nicht mehr gewesen ist als ein Tropfen in einem grenzenlosen Ocean!'

Was aber ist ein Ocean anderes als eine Vielzahl von Tropfen?"